Mitgliederbereich

Entscheidungsfindungsprozesse

1. Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Die demenzbedingte Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit kann die Verständigung mit dem Patienten erheblich erschweren. Daher soll die Betreuungsperson ihre Botschaften möglichst klar und in einfachen, kurzen Sätzen übermitteln, wobei ein Blickkontakt unter den Gesprächspartnern bestehen soll.

Menschen mit einer schweren Demenzerkrankung sind oft nicht mehr zu einer sprachlichen Kommunikation fähig. Sie können aber meistens nonverbale Äusserungen (z. B. Lächeln, ruhiges Auftreten, Gesten, taktvolle Berührungen) vonseiten ihrer Mitmenschen wahrnehmen und bewerten. Der emotionale Ausdruck von Menschen mit Demenz bleibt bis zum Lebensende erhalten, jedoch werden Mimik und Gestik oft schwächer.

Wir informieren die Bewohnerin resp. den Bewohner systematisch und erklären ihr/ihm möglichst klar und ihrem/seinem Verständnisniveau entsprechend, worum es geht und welche Optionen zur Verfügung stehen. Dies gilt auch, falls sie/er unter gesetzlichem Schutz steht. Die Meinungen und Wünsche, die sie/er noch äussern kann, und die Reaktionen, die sie/er noch zeigt, werden in Betracht gezogen und bestimmen soweit möglich die sie/ihn betreffende Entscheidung.

Falls Entscheidungen erforderlich sind, jedoch Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit einer Bewohnerin oder eines Bewohners bestehen, muss diese Fähigkeit beurteilt werden. Die Evaluation sollte möglichst durch eine Fachärztin / einen Facharzt für Gerontopsychiatrie oder Geriatrie erfolgen, die/der nicht unmittelbar in die Entscheidungsprozesse oder die medizinische Behandlung des Bewohners / der Bewohnerin involviert ist. Die Evaluation der Befähigung einer Bewohnerin oder eines Bewohners zu selbstbestimmten Entscheidungen ist schriftlich zu dokumentieren. (SAMW/ASSM, 2017)

2. Aufklärung und Einwilligung

Medizinische Abklärungen (inkl. Diagnosestellung) und Behandlungen bedürfen grundsätzlich einer medizinischen Indikation und der informierten Einwilligung der betroffenen Person. Die Aufklärung muss alle Umstände umfassen, die für die Entscheidung relevant sind. Ist der demenzkranke Mensch urteilsunfähig, entscheidet die gesetzliche Vertretungsperson stellvertretend. Diese muss dabei den mutmasslichen Willen oder, wenn dieser nicht bekannt ist, die Interessen der/des Betroffenen sowie den Ausdruck des natürlichen Willens berücksichtigen. Die entscheidungsberechtigte Person darf sich dabei nicht von ihrer eigenen Lebensphilosophie, Lebenserfahrung und Überzeugung leiten lassen, sondern von denen der betroffenen Person. Soweit möglich ist die/der urteilsunfähige Betroffene in den Entscheid einzubeziehen. Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren vertretungsberechtigten Personen oder widerspricht der Vertreterentscheid dem mutmasslichen Willen bzw. den Interessen der Bewohnerin oder des Bewohners, ist die Erwachsenenschutzbehörde (KESB) einzubeziehen. (SAMW/ASSM, 2017)

3. Entscheidungsfindung im Betreuungs- und Behandlungsteam

Medizinische Betreuungs- und Behandlungsmassnahmen erfordern insbesondere bei Personen mit schwerer Demenz oftmals einen interprofessionellen Entscheidungsprozess. Bevor einer Bewohnerin / einem Bewohner resp. der jeweiligen Stellvertretungsperson solche Behandlungen oder Massnahmen vorgeschlagen werden, sollen sie im Betreuungs- und Behandlungsteam diskutiert werden. Dabei soll ein Entscheid angestrebt werden, der von allen Beteiligten mitgetragen werden kann. Bei schwierigen Entscheiden kann eine ethische Unterstützung hilfreich sein. Die Anwendung von expliziten und strukturierten ethischen Entscheidungsfindungsverfahren fördert die Sensibilisierung und die Qualität der ethischen Reflexion bei den Beteiligten und die Konsensfindung. (SAMW/ASSM, 2017)

Um günstige Rahmenbedingungen für schwierige ethische Entscheidungen zu schaffen, stehen mehrere mögliche Vorgehensweisen und praktische Leitfäden zur Verfügung. Die AVALEMS hat für die angeschlossenen Einrichtungen, ihre Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörige einen Klinischen Ethik-Pool eingerichtet, der beratende Stellungnahmen formulieren kann.

Pflegeverweigerung

Im Alltag einer Langzeitpflegeeinrichtung kommt es vor, dass Bewohnerinnen und Bewohner indizierte Pflegemassnahmen oder Behandlungen ablehnen. Dies ist der Fall, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner sich weigert, Medikamente einzunehmen, oder nicht essen oder trinken will. In diesem Fall ist eine fachübergreifende Abklärung der Weigerung und gegebenenfalls eine Behandlung der entsprechenden geriatrischen Syndrome erforderlich. Unsere Analyse basiert auf Algases Theorie der unbefriedigten Bedürfnisse. (Algase et al., 1996) Dieses Modell geht davon aus, dass bestimmte Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz sich aus einem unerfüllten Bedürfnis heraus oder als Reaktion auf einen Umgebungsfaktor entwickeln, der ihnen Unbehagen bereitet oder sie verunsichert. Mit ihrem Verhalten möchten sie uns also etwas mitteilen.

Eine Neubeurteilung auf Hochrisikosyndrome (Abklärung organischer oder medikamentös bedingter Ursachen und anderer Symptome) ist empfehlenswert, einschliesslich (aber nicht beschränkt auf):

·      Depression

·      Unterernährung

·      Kognitive Störungen und allfälliger akuter Verwirrtheitszustand

·      Schmerz

·      Mobilisierung

·      physisches Umfeld etc.

Weiter ist ein gründliches Pflegeassessment erforderlich. Nach der Evaluation der oben genannten Punkte und der entsprechenden Anpassung des Therapieplans betrachten wir eine Weigerung als eindeutige Willensäusserung. Wir bieten die notwendige Pflege und Behandlung weiterhin an, akzeptieren jedoch, wenn sie nicht angenommen wird. Wir beachten die Bestimmungen des Erwachsenenschutzgesetzes, indem wir unverzüglich die bevollmächtigte Vertrauensperson und/oder die Angehörigen über die Weigerung informieren und sie in weitere Entscheidungsprozesse einbeziehen.