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Wie die Krise den Alltag in den Walliser Pflegeheimen verändert hat

Die AVALEMS hat sich mit denjenigen getroffen, die im Bereich EMS arbeiten und sie gebeten, uns von ihrem Jahr 2020 zu erzählen.

Ein AVALEMS-Artikel von Sylviane Tillemans, administrative Mitarbeiterin der AVALEMS.
 
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Es ist die Stille, die am meisten auffällt. In den Gängen ist kein Geräusch zu hören; die Animationen finden hauptsächlich in den Zimmern statt. Früher unterhielten sich die Bewohner auf dem Weg zu den Mahlzeiten. Heute werden die Serviertabletts direkt vor die Tür hingestellt; zufällige Begegnungen sind selten geworden. Seit vielen Monaten gibt es in den sozial-medizinischen Institutionen verschiedene einschränkende Massnahmen, die ineinandergreifen. Die Bewohner werden, wenn nötig, im Zimmer isoliert, das ganze Heim wird in Etagen unter- und jedes Team aufgeteilt, um die Weiterführung des Betriebs im Falle einer Infektion zu gewährleisten. Die Pandemie hat die Arbeit und das Leben in den Pflegeheimen für das Personal und die Bewohner tiefgreifend verändert. 

 
Da sich die Richtlinien der Behörden von Woche zu Woche ändern, müssen sich die verschiedenen Abteilungen immer wieder über die neuen Sicherheitsmassnahmen informieren und ihre Tätigkeiten entsprechend anpassen. In der Wäscherei zum Beispiel sind die Maschinen im Dauerbetrieb. Denn es fällt nicht nur mehr Wäsche an, die Maschinen müssen nach ihrer Verwendung auch noch einmal leerlaufen. «Unsere tägliche Arbeit ist jetzt viel zeitaufwändiger und muss neu organisiert werden», erklärt die Leiterin der Lingerie eines Pflegeheims im Oberwallis. 
 
Doch weil in den Institutionen keine Besuche mehr möglich sind, lässt sich auch beobachten, dass sich das Gefühl verstärkt, zu einer grossen Familie zu gehören. Im Kampf gegen das Virus schliessen sich die Teams zusammen und helfen sich gegenseitig. Viele betonen, dass sie gerne arbeiten kommen, da das Pflegeheim ein Ort des Lebens in einer gesellschaftlich veränderten Welt bleibt. Trotz der Sicherheitsmassnahmen bietet sich bei der Arbeit die Gelegenheit zum Austausch und zur Solidarität. Fortan versuchen die Einen, die Aufgaben der Anderen zu erleichtern, so die Erfahrung einer Küchenverantwortlichen: «Bei der zweiten Welle hatte ich das Bedürfnis, noch mehr auf das Pflegepersonal zuzugehen. Wir versuchten, ihren Alltag durch Gesten und kleine Aufmerksamkeiten so weit wie möglich zu vereinfachen, damit sie sich auf ihren Job konzentrieren konnten.» 
 
Diese völlig neue Situation fördert überdies das gegenseitige Verständnis bei allen Mitarbeitenden. So ist die Bedeutung der soziokulturellen Betreuung – ein bisweilen unterschätzter Bereich – in den Pflegeheimen nunmehr unbestritten. Da keine Angehörige auf Besuch kommen, ist sofort zu erkennen, wie positiv sich die mit den Bewohnern verbrachten Augenblicke auswirken. «Man spürt, dass man gebraucht wird. Selbst wenn alle Aktivitäten gestrichen sind, kommt man dank diesen freudigen Momenten gerne zur Arbeit», vertraut uns eine Auszubildende zur Fachfrau Betreuung an. Ausserdem bietet die Einzelbetreuung die Möglichkeit, die im Heim lebenden Menschen auf eine andere Art und Weise kennen zu lernen. Mehrere Animatorinnen verraten, dass sie eine ganz besondere Beziehung zu ihnen pflegen: «Gemeinsam schauen wir uns ihre Fotoalben an. Einmal habe ich sogar mit einer Bewohnerin in ihrem Zimmer gesungen. Das hätten wir vorher wahrscheinlich auch nie getan.» An anderer Stätte berichtet eine Leiterin der soziokulturellen Betreuung von einem kuriosen Phänomen. Jeden Morgen telefoniert sie mit all jenen, die in ihren Zimmern isoliert sind. Erstaunlicherweise fällt es diesen Personen während dieser Gespräche viel leichter, sich zu öffnen, als von Angesicht zu Angesicht. 
 
Auch in anderen Heimbereichen haben die Beschränkungen einen positiven Einfluss. So beobachtet die leitende Pflegefachfrau in der psycho-geriatrischen Abteilung einer Institution, dass die Bewohner mit Demenz mit weniger Besuchen besser umgehen können. «Es klingt komisch, aber sie scheinen ruhiger zu sein», stellt sie fest. Darüber hinaus bedeutet das Besuchsverbot, dass nur die Angestellten das Heim betreten und verlassen dürfen. Angesichts der Eigenverantwortung, die diese Situation erfordert, ist das Bewusstsein jedes Einzelnen geschärft. «Uns wird regelmässig geraten, unsere sozialen Kontakte auf ein Minimum zu beschränken, und natürlich möchte niemand derjenige sein, der das Virus ins Haus schleppt. Aber auf Dauer übt es einen Druck auf unser Privatleben aus, der schwer zu ertragen ist, besonders wenn man Kinder hat», erklärt eine andere Pflegefachfrau. Diese Meinung teilt auch die Leiterin der Lingerie: «Am Anfang hatte ich grosse Angst vor dem Virus. Ich wollte es nicht nach Hause oder zur Arbeit bringen.» 
 
Der Mangel an Kontakten mit den Bewohnern belastet aber auch jene Abteilungen, die sich nicht direkt mit der Pflege oder Animation befassen. Das Verwaltungs- und Küchenpersonal beispielsweise bedauert es, dass die Bewohner nicht mehr spontan vorbeikommen. «Wir vermissen den direkten Austausch, aber hin und wieder erhalten wir einen Anruf eines Bewohners, der sich herzlich für das Essen bedankt», erklärt eine junge stellvertretende Küchenverantwortliche. In einer anderen Institution vertraut uns eine Verantwortliche im Bereich Administration an: «Was ich an meiner Arbeit besonders schätze, ist der persönliche Kontakt mit den Bewohnern. Da wir Grossraumbüros haben, schauen sie ab und zu herein, um sich mit uns zu unterhalten oder uns sogar beim Aufräumen zu helfen», erzählt sie mit einem Augenzwinkern. 
 
Um den Alltag der im Heim lebenden Personen angenehmer zu gestalten, zeigen sich die Angestellten kreativ. Sie entwickeln individuelle Lösungen, ändern ihre Prioritäten für den Tag und nehmen sich so oft wie möglich Zeit für die Betagten. In der Küche werden die Haupt- und Nachspeisen mit besonderer Sorgfalt zubereitet, um «ihnen den Bewohnern eine Freude zu bereiten, wo es noch möglich ist». Ausserdem drücken die Heimleitungen gegenüber ihren Mitarbeitenden regelmässig ihre Wertschätzung aus und warten mit kleinen Überraschungen auf: «Die Direktion hat uns schon mehrfach Gebäck mitgebracht. Das tut gut und zeigt, dass sie an uns denken», sagt die Leiterin der Lingerie. 
 
Nach den verschiedenen Begegnungen im ganzen Kanton kommen wir zum Schluss, dass die Pandemie das Leben in den Pflegeheimen tatsächlich komplett verändert hat. Doch sieht man sich die zahlreichen Anpassungen an, die – oft von einem Tag auf den anderen – erforderlich waren, stellt man auch eine Sensibilisierung und Veränderungen fest, die Hoffnung geben. Denn es scheint, dass die Krise einerseits das Verständnis, die Solidarität und das Wohlwollen füreinander innerhalb der Institutionen gestärkt und für engere Bindungen zwischen den Teams und zwischen Mitarbeitenden und Bewohnern gesorgt hat, andererseits aber auch Verbesserungspotenzial aufgezeigt hat.
 

 

Die AVALEMS-Artikel

Die AVALEMS-Artikel sind Arbeitsdokumente für Fachkräfte in der Langzeitpflege, insbesondere in Pflegeheimen. Ihr Inhalt stellt keine Stellungnahme des Vereins dar. Verantwortlich für das Verfassen des Artikels: Camille-Angelo Aglione (camilleangelo.aglione@avalems.ch)